K3: Screening ohne Anlass: Risikominimierung oder Übergriff?
12.15 bis 13.15 Uhr

Ist das anlasslose Screening ein notwendiger Schritt zur Eindämmung von STIs oder überschreitet es die Grenzen individueller Freiheit und Privatsphäre? In der Debatte über das anlasslose Screening auf sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) stehen sich zwei gegensätzliche Positionen gegenüber. Die Befürworter*innen argumentieren vehement für ein breites Screening, um Infektionen frühzeitig zu erkennen, Übertragungsraten zu senken und Langzeitfolgen zu verhindern. Sie betonen die dringende Notwendigkeit, Prävention zu stärken und sexuelle Gesundheit als Priorität anzuerkennen. Auf der anderen Seite erheben Kritiker*innen Einwände: Die hohen Kosten, das Risiko von falsch-positiven Ergebnissen und die potenzielle Stigmatisierung von Betroffenen stehen im Mittelpunkt ihrer Bedenken. Sie hinterfragen die Wirksamkeit und Ethik eines anlasslosen Screenings und plädieren für eine differenziertere Herangehensweise an das Thema.

Position 1: Dr. Heinrich Rasokat | Uniklinik Köln
Primäres Ziel ist es sexuell übertragbare Infektionen frühzeitig zu erkennen, Übertragungsraten zu senken und Langzeitfolgen zu verhindern. Das Screening führt zu einer signifikanten Zunahme von Diagnosen und ermöglicht eine frühzeitigen Therapiebeginn sowie eine verkürzte Behandlungsdauer. Ferner führen Screening-Programme (z.B. bei Chlamydien und Gonorrhoe-Infektionen) zu einer signifikanten Reduktion der Prävalenz insbesondere bei jungen Erwachsenen und MSM, was auf eine Verringerung der Übertragungsraten hinweist. Sie betonen die dringende Notwendigkeit, Prävention zu stärken und sexuelle Gesundheit als Priorität anzuerkennen.

Position 2: Dr. Axel Jeremias Schmidt | Deutsche Aidshilfe Berlin | London School of Hygiene and Tropical Medicine
Selbstverständlich ist es wichtig, dass sexuell übertragene Infektionen, die langfristig die Gesundheit schwer beeinträchtigen können, etwa HIV oder Syphilis, möglichst früh entdeckt werden, damit sie adäquat behandelt werden können. Weiterhin sollten Menschen, bevor sie Sexualkontakte mit neuen Partnern eingehen, die Möglichkeit haben sicherzustellen, dass sie keine relevanten sexuell übertragenen Infektionen haben. Den meisten Menschen ist es ein Bedürfnis, keine Infektionen weiterzugeben. Dieses Bedürfnis ist bei schambesetzten Erkrankungen wie sexuell übertragenen Infektionen besonders ausgeprägt. Deswegen müssen wir prinzipiell die Möglichkeiten, sich einfach und kostengünstig testen zu lassen, verbessern. Es ist logisch, dass asymptomatische Fälle nur durch entsprechendes Screening aufgedeckt werden können. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch die Frage stellen, ab wann ein solches Screening und die sich daran anschliessende antibiotische Behandlung bei Infektionen, die meist folgenlos von alleine ausheilen (z.B. Gonorrhö, Chlamydien), möglicherweise mehr schadet als nützt. Gemäß dem bioethischen Grundsatz "primum non nocere" (zuvorderst nicht schaden) ist es unerlässlich, vor der Einführung oder Ausweitung von STI-Screenings auf bakterielle STI wie Mycoplasma genitalium, Chlamydia trachomatis und sogar Gonorrhö eine sorgfältige Neubewertung des Schadens (Übertherapie, Nebenwirkungen, Resistenzentwicklung ...) vorzunehmen – auch in Zeiten steigender STI-Risiken in medial hochgradig sexualisierten Gesellschaften.

Co Chair
Marco Grober | Aidshilfe Düsseldorf