Strukturen der landesweiten und kommunalen Aids-Prävention in NRW – Öffentlicher Gesundheitsdienst und/oder Aidshilfen?

Nur die 54 kreisfreien Städte und Kreise Nordrhein-Westfalens können eine bessere Anpassung der landesweiten Aidsprävention an den örtlichen Bedarf sowie an die Bedürfnisse der Betroffenen ermöglichen, sagen die einen.

Erfolgreiche Aidsprävention mit begrenzten Ressourcen benötigt vor allem eine enge Anbindung an die Selbsthilfe und eine stringente landesweite Steuerung, sagen die anderen. Wer kann die Aidsprävention Nordrhein-Westfalens gestalten, damit sie weiterhin erfolgreich bleibt?

  • Die Referentinnen und Referenten waren Frau Dr. Anne Bunte, Abteilung Gesundheit des Kreises Güterlsloh und Dirk Meyer, Landesgeschäftsführer der AIDS-Hilfe NRW e.V. Die Moderation führte Peter Vaske, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Hamm e.V.

  • Nordrhein-Westfalen (NRW) ist mit 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste deutsche Bundesland. Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) hat bis zum 31. Dezember 2006 die örtlichen Aidshilfen über die Bezirksregierungen direkt gefördert. Seit dem 1. Januar 2007 geht diese Förderung an die Kommunen. Die Kommunen können seither im Rahmen des Landeshaushaltsgesetzes über den Einsatz der Mittel eigenständig entscheiden. 2007 und 2008 haben sich die Kommunen allerdings freiwillig gebunden, die Zuschüsse an die bis 2006 landesgeförderten Zuwendungsempfänger weiterzureichen.

    Der Etat umfasst in diesem Bereich insgesamt 2,3 Millionen Euro pro Jahr. Davon stammen 1,4 Millionen Euro aus der ehemaligen Förderung von Youthwork-Fachstellen. Mit 900.000 Euro wurden die regionalen Aidshilfen gefördert. Die oben angesprochene freiwillige Bindung der Kommunen, die Förderung an die ehemaligen Zuschussempfänger weiterzuleiten, läuft Ende diesen Jahres aus.

    Die Frage, welche der mit Aidsprävention befassten Institutionen, Verbände und Selbsthilfeorganisationen mit wie viel Mitteln welche Aufgaben umsetzen sollen, werden ab 2009 die geförderten Kreise und kreisfreie Städte in Nordrhein-Westfalen selbst entscheiden. Eine Chance, sagen die einen. Jetzt könnten die Bedürfnisse und Erfordernisse der Betroffenen vor Ort besser berücksichtigt werden als bisher. Ein Risiko, sagen andere. Denn wirksame Aidsprävention kann nur gelingen, wenn es grundsätzlich eine enge Anbindung an Selbsthilfeorganisationen wie die Aidshilfe gibt und wenn örtliche Konzepte mit landesweiten Strategien abgestimmt sind.

     

  • Gesundheitsämter und Aidshilfen sind tragende Säulen der Aidsprävention in NRW. Der öffentliche Gesundheitsdienst hat zentrale Bedeutung für die Koordination der Angebote auf kommunaler Ebene.

    „Die Aidshilfen sind auf die Zielgruppe Erwachsener spezialisiert, die ein besonderes Risiko für eine Ansteckung mit HIV haben oder infiziert sind“, sagte Dr. Anne Bunte. „In diesem Bereich haben die Aidshilfen eine sehr hohe Expertise.“ Die Gesundheitsämter aber müssten bei der Prävention und deren Koordination die gesamte Bevölkerung im Blick haben und damit sowohl alle Altersgruppen, als auch Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen (STD) wie Syphilis, deren Häufigkeit nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin (RKI) in den letzten Jahren deutlich zunehme. Infektionen mit dem Syphiliserreger erhöhten das Risiko einer HIV-Infektion und umgekehrt. Deshalb bedürfe es unterschiedlicher Akteure bei der Prävention. Bunte erinnerte an den gesetzlichen Auftrag der Gesundheitsämter durch das Infektionsschutzgesetz (Hier Link zu § 19 IfSG möglich, siehe PDF in Anlage) von 2001: Nach § 19 müssen die Gesundheitsämter Beratungs- und Untersuchungsangebote sicherstellen, um die Weiterverbreitung von STD zu verhindern, aufsuchende Angebote eingeschlossen.

    Dass Bevölkerungsstrukturen und damit Ansteckungsrisiken von Kreis zu Kreis stark variieren und damit eine Feinabstimmung der Prävention erfordern, zeigen nach den Worten von Bunte zwei Beispiele aus NRW: Im Kreis Gütersloh seien 95 Prozent der Infizierten heterosexuell mit einem erhöhten Risiko durch häufig wechselnde Partnerinnen und Partner. In Großstädten wie Köln seien 70 Prozent der Infizierten Männer, die Sex mit Männern haben, nur 30 Prozent seien hier heterosexuell. Das größte Problem aber seien Gruppen, die nur unzureichend erreicht würden, beispielsweise Prostituierte.

    Buntes Plädoyer: Die Gesundheitsämter sollten als „neutrale Partner“ im Aufgabenbereich Aidsprävention eine zentrale Funktion bei der Koordination haben. Sie sollten dafür sorgen,

    • dass die Angebote gut vernetzt sind,
    • dass sie an vorhandene, bewährte Hilfsstrukturen angebunden und angepasst sind
    • und dass die Zielgruppen kurze Wege haben.

    Eine gute Kooperation innerhalb der Strukturen sei das Hauptziel. Regelmäßig müssten Erfahrungen ausgetauscht und bewertet und schließlich Standards für die Qualität von Aidsprävention erarbeitet werden.

  • Dirk Meyer bezweifelte, dass es unter den Bedingungen der Kommunalisierung "Neutralität" auf kommunaler Ebene geben könne, denn schließlich entschieden nun künftig Oberbürgermeister, Stadtkämmerer und Landräte bzw. Kommunalparlamente allein nach den Interessen der Kommunen über die Verteilung der Aids-Fördergelder. Meyer warnte davor, dass öffentliche Gesundheitsdienste und Aidshilfen, die sich in der Vergangenheit als zwei tragfähige Säulen der Aidsprävention erwiesen hätten, künftig in Konkurrenz zueinander träten. Um zu verhindern, dass die Aidshilfen geschwächt würden und damit die Aufmerksamkeit für HIV in Politik und Gesellschaft abnehme, sollten sich die Aidshilfen aber dafür einsetzen, dass Gesundheitsämter starke Ansprechpartner für das Thema in den Kommunen sind und Aufgaben der Aidsprävention an die Aidshilfen delegierten. „Wenn es keinen zentralen Ansprechpartner in den Kommunen gibt, wird es für die Aidshilfen schwierig“, sagte Meyer.

  • In der Diskussion wurde die Befürchtung deutlich, Aidsprävention könne in NRW zum Flickenteppich werden. Schon bislang fehlten in der Fläche teilweise die erforderlichen Strukturen. Wo Lücken seien, gebe es nichts, was sich in Kooperationsnetze integrieren lasse. Dies zu beheben und funktionsfähige Strukturen dort aufzubauen oder zu erhalten, wo es inhaltliche oder regionale Übergänge gibt, erfordere eine landesweite fachliche Arbeit. Als Fachverband über die Facharbeit der Aidshilfen leiste die AIDS-Hilfe NRW dies schon bislang, sagte abschließend Meyer, allerdings müssten die künftig wachsenden Aufgaben in diesem Bereich auch honoriert werden. Seine Frage, ob Gesundheitsämter wirksam Druck auf die Politik ausüben könnten, blieb in der Diskussion unbeantwortet.

  • Damit Aidsprävention in NRW auch nach der Kommunalisierung der Fördermittel nicht geschwächt wird, sollten Gesundheitsämter als zentrale Ansprechpartner fungieren und die Aidshilfen mit aidspräventiven Aufgaben betrauen.

    Durch die Kommunalisierung werden neue Formen der fachlichen Zusammenarbeit auf Landesebene erforderlich werden, an der sich die Aidshilfen beteiligen. Einen Ansatz in dieser Richtung gibt es bereits: Die Arbeitsgemeinschaft „Aidsprävention NRW“, die das Landesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales einberufen will. Darin sollen die Kommunalen Spitzenverbände (Städtetag, Landkreistag, Städte- und Gemeindeverbund) und die Aidsfachkräfte ebenso vertreten sein wie die freien Träger (z.B. Aidshilfe, Caritas, Paritätischer, Deutsches Rotes Kreuz, ProFamilia). Die Hauptaufgaben der "Arbeitsgemeinschaft Aidsprävention NRW“ sollen sein:

    • die Weiterentwicklung der Infrastruktur der Prävention und Aidshilfearbeit in NRW,
    • der fachlicher Austausch,
    • die Förderung eines Interessenausgleichs zwischen Land, Kommunen und Freier Wohlfahrtspflege sowie
    • die Verbesserung von Transparenz und Vernetzung der Strukturen auf Landesebene.

    Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sollen dazu beitragen, vereinbarte Schwerpunkte in ihren jeweiligen Strukturen auf regionaler wie landesweiter Ebene umzusetzen.
    Weitere Formen der fachlichen Zusammenarbeit auf gemeindeübergreifender Ebene sind denkbar und möglicherweise notwendig.

  • Weitere Informationen zum Thema Kommunalisierung der Landesförderungen der Aidshilfen und des Youthwork in Nordrhein-Westfalen finden Sie unter www.nrw.aidshilfe.de.