Bleiben Sie gesund ... anders wär nämlich schlecht: Wirtschaftlicher Erfolg versus Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten in der stationären Versorgung

Die Qualität der stationären Versorgung ist von zahlreichen Faktoren abhängig und unterliegt deutlich finanziellen Aspekten. Jedoch dürfen wirtschaftliche Faktoren eine patientenorientierte Behandlung und Betreuung nicht ausschließen. Reichen die derzeit bestehenden Qualitätsstandards aus, um eine diskriminierungs- und stigmatisierungsfreie Versorgung und Pflege sowie den Einsatz von gut informiertem medizinischem (Fach-) Personal zu gewährleisten?

Referenten waren Dr. Klaus Tischbirek | Asklepios Klinik Wiesbaden GmbH und Thomas Peters | Wohnstift Sankt Martin | Koblenz

(Zusammenfassung der Kontroverse Claudia Kannen)

  • Die Referenten der Kontroverse waren Dr. Christoph Wyen, Universitätsklinik Köln, und PD Dr. Nils von Hentig, HIVCENTER der Universitätsklinik Frankfurt.

  • Laut Statistik steigt in den letzten Jahren die Gesamtinfektionsrate mit dem HI-Virus zwar an, die Todes- und schweren Krankheitsfälle sind jedoch rückläufig. Auch die Zahl derer, die aufgrund ihrer HIV-Infektion in Deutschland stationär behandelt werden, hat abgenommen. Die meisten Menschen mit HIV/Aids leben in Ballungsgebieten. Eine elektive Aufnahme im Krankenhaus ist eher selten und wird in der Regel durch eine Schwerpunktpraxis eingeleitet, die eine behandlungsadäquate Klinik empfehlen kann.

    Bei einer Vielzahl an Krankenhäusern kombiniert mit einer Vielzahl an verschiedenen Diagnosen und Behandlungen ist es nachvollziehbar, dass nicht jeder Arzt ein HIV-Spezialist sein kann. Die Zufriedenheit mit der Behandlung ist bei HIV-Patientinnen und –Patienten jedoch sehr hoch. Dies, obwohl die Abrechnung medizinischer Leistungen nach Fallpauschalen bedeutet, dass Schwerkranke das Finanzsystem deutlich stärker belasten. Erklärbar scheint das zum einen durch die Abnahme schwerer Erkrankungen bei Menschen mit HIV/Aids. Der Anteil leicht behandelbarer unspezifischer Begleiterscheinungen hingegen nimmt mit einem generell steigenden Durchschnittsalter zu. Es besteht also keine spezifische HIV-Problematik und folglich aus ökonomischer Sicht auch keine Notwendigkeit einer Spezialisierung in der medizinischen Versorgung. Im Gegenteil: Sie würde auf Kosten einer wohnortnahen Behandlung gehen. Die Pflege in einer bestehenden Einrichtung vor Ort hingegen gewährleistet die Kontinuität bereits vorhandener sozialer Bezüge. Zusammen mit einem noch einzufordernden aufgeklärten, toleranten und empathischen Umgang aller Mitwirkenden im medizinisch-pflegerischen Versorgungssystem ist diese inklusive Lösung der exklusiven Spezialisierungslösung daher vorzuziehen. Was benötigt wird ist mehr Akzeptanz für unterschiedliche Lebensstile in der Gesellschaft und ein funktionierendes Netzwerk mit einer guten Kommunikation bzgl. der jeweils optimalen Behandlung. Die HIV-Schwerpunktpraxen sollten hierbei die Lotsenfunktion innehaben.

    Auf diese Weise führen der medizinische und der wirtschaftliche Erfolg zur Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten in der stationären Versorgung!

    Dr. Klaus Tischbirek | Asklepios Klinik Wiesbaden GmbH

  • Die Lebenserwartung der Menschen mit HIV ist deutlich gestiegen. Das hat Auswirkungen auf die Altenpflegeeinrichtungen, die zunehmend vor der Wahl stehen, Aufnahmeanträge von HIV-Infizierten zu bescheiden. Einige Leitungskräfte entscheiden sich aufgrund der HIV-Diagnose jedoch gegen eine Aufnahme, vermutlich weil sie die Auseinandersetzung mit Fragen wie „Was bedeutet eine Aufnahme eines Menschen mit HIV für das Personal, für die Bewohnerinnen und Bewohner und wie reagieren deren Angehörige?“ scheuen. Hinzu kommt ein Mangel an medizinischem Fachwissen wie auch am Wissen über Hygienemaßnahmen in den Einrichtungen. Der (wirtschaftliche) Mehraufwand wird abgewogen gegen die emotionale Verpflichtung.

    Die Aufnahme eines Menschen mit HIV in ein Altenpflegeheim bedingt die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten und den damit zusammenhängenden Bedürfnissen. In der Krankenpflegeausbildung sind lediglich acht Unterrichtseinheiten für das Thema HIV vorgesehen – was die Verunsicherung der Auszubildenden verstärkt. Vorurteile und Ängste im Umgang mit HIV-infizierten Menschen sind nach wie vor weit verbreitet.

    Unabhängig von der Trägerschaft der Altenpflegeeinrichtung existieren nach wie vor Stigmatisierung und Diskriminierung. Das heißt: Es gibt noch Handlungsbedarf.

    Thomas Peters | Wohnstift Sankt Martin | Koblenz

  • Die Moderatorin äußerte, dass Diskriminierung und Stigmatisierung in den Krankenhäusern nicht nur diejenigen trifft, die hauptsächlich wegen ihrer HIV-Infektion eingeliefert werden. Auch eine Aufnahme wegen einer anderen Diagnose würde bei Kenntnis der HIV-Infektion oft dazu führen, dass das Personal verängstigt und diskriminierend reagiert. Dr. Tischbirek bestätigte das und sagte, dass man durchaus auf Ärzte stoßen könnte, die aufgrund ihrer HIV-spezifischen Unkenntnis manche Situation falsch einordnen würden. Daher wäre grundsätzlich ein breiter gestreutes Know how erstrebenswert, jedoch kaum realisierbar. Er empfahl, als Mensch mit HIV im Bedarfsfall ein Krankenhaus zu wählen, wo die entsprechende Fachkenntnis vorhanden ist.

    Jemand aus dem Publikum bestätigte, dass Diskriminierung im Gesundheitswesen ein Faktum wäre. Hinzukommend regte er eine Trennung in der Diskussion zwischen medizinischem Fachwissen und der Diskriminierung an, da im medizinischen Versorgungssystem Vorurteile ähnlich wie in der Gesellschaft existieren würden. Wichtig fand er vielmehr, dass an dieser Stelle die Nöte der Menschen inklusive ihrer psychosozialen Hintergründe im Vordergrund stehen müssten. Man sollte von der systematisch verengten Sichtweise allein auf die Medizin abrücken. Hier bestünden Defizite in Ausbildung, Fortbildung und Information.

    Die gesamte Thematik HIV sei in der Gesellschaft aus dem Fokus gerückt – so Dr. Tischbirek. Aidshilfen wären hier sehr gefordert.

    Frau Benninghoven sprach das Gefühl des Ausgeliefertseins in den Einrichtungen an und negierte die Vergleichbarkeit von Gesellschaft und medizinischem Versorgungssystem im Hinblick auf Diskriminierung und Stigmatisierung.

    Eine Meldung aus dem Publikum bestätigte, dass Diskriminierung im Gesundheitswesen auf breiter Ebene für HIV-Positive nicht nur die Ausnahme sondern die Regel wäre – sowohl vom medizinischen als auch vom Pflegepersonal. Sie stimmte auch dem zu, dass nicht jeder Arzt ein HIV-Spezialist sein könne. Jedoch erwartete sie mehr Auseinandersetzung, damit die Patienten vorurteilsfrei behandelt werden.  Im Falle der Late Presenter erwartete sie von der Ärzteschaft ein Grundwissen über HIV, damit ein HIV-Test überhaupt erwogen würde, auch wenn der Patient bzw. die Patientin wegen opportunistischer Erkrankungen ins Krankenhaus eingeliefert würde.

    Ein weiterer Zuhörer sprach die Verkrampftheit bei Blutabnahmen an. Die Ursache für eine solche Angst läge in der Unkenntnis und schlechten Ausbildung.

    Eine andere Meldung betraf ebenfalls die Kompetenz des medizinischen Personals. Diese sei nicht unbedingt vonnöten, wenn man wegen eines Leistenbruchs stationär aufgenommen würde, die Viruslast unter der Nachweisgrenze läge und seine Medikamente mitbringen würde.

    Im Hinblick auf die Ökonomie wurde die Frage gestellt, ob genug Gelder für eine umfassende Aus- und Fortbildung vorhanden wären und ob eine Art HIV-Zertifizierung nicht auch als Alleinstellungsmerkmal im Konkurrenzkampf dienen könnte.

    Ein Zertifikat allein – so eine Replik – funktioniert nicht ohne die entsprechende Haltung. Wenn Trägerschaft und Leitung nicht eine offene und tolerante Haltung hat, kann diese auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht erwartet werden.

    Gefragt nach der Ökonomie und den Fortbildungskosten sagte Herr Peters, dass man als Pflegeeinrichtung grundsätzlich einige Pflichtveranstaltungen wahrnehmen müsse. Worauf man dann in der weiteren Fortbildung seinen Fokus legt – Bsp. Demenz, Palliativmedizin oder HIV und sexuelle Vielfalt – bleibe jedem Haus und dessen Einschätzung der Wirtschaftlichkeit selbst überlassen. Sexualität sei jedoch ein Thema, womit man bei vielen auf Unverständnis stoßen würde.

    Fortbildungen für eine diskriminierungsfreie Pflege existieren bereits z. B. im Bereich des Alkoholismus. Auch sei grundsätzlich die Empathie in den letzten Jahren gestiegen – so Dr. Tischbirek.

    Eine Frage aus dem Publikum betraf die Obligatorik derartiger Fortbildungen. Die Träger der Einrichtungen könnten nicht nur mit Hilfe von Fortbildungen, sondern auch mit einer diversityorientierten Politik im eigenen Haus, über die eigene Selbstorganisation – gleichgeschlechtlich orientierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Menschen mit Migrationshintergrund, etc. – Einfluss auf das Klima im Haus und den Umgang mit den Menschen ausüben. Der ökonomische Vorteil läge im Alleinstellungsmerkmal als vielfaltorientierte Einrichtung.

    Auf die Frage, ob das Antidiskriminierungsgesetz oder das Allgemeine Gleichstellungsgesetz auch Wirkung im Altenheim hätte konnte Herr Peters keine eindeutige Antwort geben. Es käme auf die Trägerschaft  und die Haltung an, offiziell würde es beachtet, inoffiziell aber oft nicht.  Da die Entscheidungen bei Diakonie und auch Caritas vielfach in Regionalkonferenzen auf Leitungsebene getroffen würden regte er an, die jeweilige Trägerschaft zu sensibilisieren und mit ins Boot zu holen. Zudem sollte es einen persönlichen Austausch geben. Auch mit den Angehörigen anderer Bewohnerinnen und Bewohnern sollten Gespräche stattfinden. Denn – um die Ökonomie nochmals zu erwähnen: Abmeldungen aus der Einrichtung können Arbeitsplätze kosten.

  • In der medizinischen Versorgung existiert Diskriminierung. Es werden nicht unbedingt überall HIV-Experten erwartet, jedoch wäre eine umfassendere Ausbildung wünschenswert. Auch ein Grundwissen sollte vorhanden sein.

    Der allgemeinen Haltung und der Offenheit sowohl des Personals als auch der Trägerschaft wurde eine hohe Bedeutung zugemessen. Menschen in den verschiedenen Einrichtungen sollten als Menschen, nicht nur als Merkmalsträger verstanden und behandelt werden.