Allein vor Ort oder gut betreut? Möglichkeiten und Grenzen der ambulanten und stationären Versorgung

"Als behandelnder Arzt oder Ärztin, als Betreuerin oder Betreuer einer sozialen Einrichtung, als Familienangehörige oder als Freund möchte ich den Menschen mit HIV/Aids gut versorgt wissen für den Bereich in dem ich keine Unterstützung anbieten kann."

"Wenn ich in die Lage komme, nicht mehr selbständig für mich sorgen zu können, möchte ich auf funktionierende Angebote in der bestehenden Versorgung zurückgreifen. Dabei erwarte ich von kompetenten Anbietern meiner gesundheitlichen Situation entsprechende und für meine sich ändernden Fähigkeiten aber auch für meine finanziellen Möglichkeiten passende und verlässliche Angebote."

Sind diese vielgeäußerten Erwartungen oder Bedürfnisse überhaupt flächendeckend in Nordrhein-Westfalen zu befriedigen oder müssen dafür noch Strukturen geschaffen, Rahmenbedingungen geändert oder Haltungen von Einrichtungen modifiziert werden? Die Grenzen zwischen dem Bedarf an stationärer oder ambulanter Versorgung sind meistens fließend. Wie können dennoch Angebote entwickelt und Entscheidungen vorbereitet werden? Was können Pflegeeinrichtungen leisten? Aktuelle Fragen sowie Möglichkeiten und Grenzen werden in dieser Kontroverse gegenüber und zur Diskussion gestellt werden.

  • Die Referentinnen und Referenten waren Elke Leuchtenberg, Care24, Düsseldorf, und Michael Bormke, Regenbogen GmbH, Duisburg. Die Moderation führte Michaela Diers, Leitung des Wohnprojekt Lebenshaus der AIDS-Hilfe Köln e.V.

  • Wenn HIV-positive Menschen sich nicht allein versorgen können, sehen sie sich häufig besonderen Problemen gegenüber: Pflegeeinrichtungen oder ambulante Pflegedienste sind auf die Langzeitbetreuung HIV-positiver Personen oft nicht eingestellt. Im Gegensatz dazu, dass die Übergänge zwischen dem Bedarf an ambulanter und stationärer Versorgung häufig fließend sind, gibt es meist klare strukturelle Grenzen zwischen beiden Bereichen, die sich nicht einfach überwinden lassen. Die Ausbreitung des Virus seit den achtziger Jahren erzeugt bei HIV-Positiven zugleich ein spezifisches Generationenproblem: Wer Unterstützung im täglichen Leben benötigt, ist häufig jünger als der Durchschnitt der Menschen in Pflegeeinrichtungen. Und die Diskriminierung HIV-infizierter Menschen durch die Gesellschaft ist längst nicht überwunden, so dass sich Betroffene häufig ausgrenzendem Verhalten von Pflegekräften und Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern gegenüber sehen.

    Gibt es Wohnmodelle in NRW, die Vorbildcharakter haben oder in modifizierter Form künftig dazu beitragen können, den (vermutlich steigenden) Bedarf kontinuierlicher ambulanter und/oder stationärer Versorgung abzudecken?

  • Bei der Frage nach geeigneten Wohnmodellen für HIV-positive Menschen gelte es zu berücksichtigen, dass es oft nicht nur körperliche, sondern auch, bedingt zum Beispiel durch Suchterkrankungen, Arbeits- und Wohnungslosigkeit, psychische und soziale Probleme gebe, sagte Elke Leuchtenberg. Die Behandlung und der Umgang mit den seelischen Problemen würde vernachlässigt, und es gebe große Lücken bei der kontinuierlichen Einbindung HIV-Positiver in soziale Aktivitäten. Essentiell sei in diesem Zusammenhang für Menschen mit HIV und Aids:

    • die dauerhafte Versorgung in adäquatem Wohnraum, wobei diese in einer Versorgungskette bedarfsorientiert angepasst werden müsse
    • eine Auswahl an kombinierbaren Angeboten
    • langfristige Kontinuität durch gleiche Betreuung
    • Angebote für Beschäftigung, Tagesstrukturierung und Freizeitgestaltung
    • Hilfe bei bürokratischen Aufgaben und bei der Vermittlung von Therapien

    Das betreute Wohnen sei häufig eine Mischform aus ambulanter und stationärer Versorgung, aber davon gebe es noch zu wenig. Seit 2005 wird von Care24 das Projekt „Gruppenwohnen“ aufgebaut: 16 Appartements (für 24 Personen) auf vier Wohneinheiten verteilt mit jeweils einem größeren Gruppenraum. Ein Teil der Appartements steht Paaren zur Verfügung. Nicht nur HIV-infizierte Menschen, sondern auch psychisch Kranke sollen dort wohnen. Durch Synergieeffekte bei der gemeinsamen Betreuung mehrerer Personen lasse sich die Unterbringung auch von Sozialhilfe beziehenden Menschen finanzieren.

  • In dem Projekt, das Michael Bromke vorstellte, sind es die flexiblen Betreuerinnen und Betreuer, die das zentrale Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung bilden: „Der Schlüssel zu einer guten Versorgung ist die konstante persönliche Beziehung“, sagte Bromke.

    Das zu dem Konzept gehörige Projekt gibt es seit zwei Jahren. Wenn ein Bewohner eines Wohnheims den Wunsch hat und in der Lage ist, in einer eigenen Wohnung zu leben, wird er vom selben Team weiterbetreut wie bisher. Das Personal ist also in beiden Bereichen tätig. Je nach Bedarf können die Betreuten ins Wohnheim zum Essen kommen, zur Ergotherapie oder zu Freizeitaktivitäten. Geht es ihnen akut schlecht, können sie in Gästezimmern des Wohnheims übernachten. Wer langfristig nicht in den eigenen vier Wände zu recht komme, könne wieder ganz ins Wohnheim ziehen, sagt Bromke. Die ambulante Versorgung werde über Fachleistungsstunden abgerechnet, die stationäre über den Pflegesatz, und so sei das Projekt finanzierbar.

    Bromke empfiehlt, bei der Entwicklung neuer Projekte nicht alle Strukturen selbst neu zu schaffen, sondern mit Verbänden und Einrichtungen der Pflege zu kooperieren, die sowohl über entsprechende Kompetenzen, als auch ausreichendes Personal verfügen, zum Beispiel die AWO. Aidshilfen könnten das spezifische Fachwissen beisteuern.

  • In der Diskussion wurde deutlich, dass es selbst in den Großstädten Nordrhein-Westfalens schwierig ist, für HIV-positive Menschen nach einem Klinikaufenthalt die geeignete ambulante Pflege zu organisieren oder eine passende stationäre Einrichtung zu finden. Eine Ärztin, die HIV-Positive an einer Universitätsklinik versorgt, gab zu bedenken, dass es häufig nicht aidsdefinierende Ereignisse seien, die eine intensivere Versorgung erforderlich machten, sondern Alkoholprobleme oder psychische Erkrankungen. Für Menschen mit dieser Bedarfskonstellation gebe es kaum geeignete Versorgungsstrukturen, auf die man in akzeptabler Zeit zurückgreifen könne.

    Ein weiterer Diskutant, der unter anderem als gerichtlich verfügter Betreuer von HIV-positiven Menschen arbeitet, bemerkte, dass Pflegekräfte oft nicht wüssten, welche Hygienemaßnahmen erforderlich und welche überflüssig seien. Sie näherten sich HIV-positiven Menschen auch dann nur mit Mundschutz und Handschuhen, wenn deren Viruslast unter der Nachweisgrenze läge. Weil dies nur bei ihnen so gehandhabt würde, fühlten sich HIV-Positive dadurch diskriminiert.

    Solche Wissenslücken machen deutlich, wie groß der Bedarf ist, sowohl Betreuerinnen und Betreuer als auch Pflegekräfte, Hauswirtschaftskräfte und Heimmanagerinnen und -managern einer Einrichtung über HIV umfassend zu informieren.

    Es besteht ferner ein hoher Bedarf an flexiblen Wohnformen, die nicht nur älteren Menschen sondern auch chronisch bzw. psychisch Kranken gerecht werden.

  • Die Aidshilfen sollen sich wieder verstärkt mit der adäquaten und Lebensstil akzeptierenden Langzeitversorgung HIV-positiver Menschen beschäftigen. Hier gilt es, die Interessen der Positiven zu bündeln. Ratsuchende sollten über die vorhandenen Möglichkeiten und Angebot sowohl rechtzeitig als auch umfassend informiert werden. Darüber hinaus sollten Anstöße für die Entwicklung neuer Wohnformen gegeben werden. Dies wird umso leichter sein, wenn bereits Kontakte zu in der Pflege arbeitenden Organisationen bestehen, mit denen Kooperationen möglich sind.

  • Die Präsentation zum Vortrag von Elke Leuchtenberg finden Sie hier (PDF-Datei).